Predigt zum ersten Christopher Street Day in Hanau
Stonewall Inn
Es war einer dieser Abende: Im Zwielicht saßen zwei junge Männer und sprachen miteinander, sie waren sich nah, die Hand des blonden Mannes lag auf dem Oberschenkel des braunhaarigen Mannes. Ihm liefen die Tränen.
Auf der Tanzfläche wiegte sich der alte Michael zum Klang der Musik.
Jenny zählte die Kleidungsstücke ihres jungen Gegenübers, während sie beide am Tresen saßen und an ihren Drinks sippten.
„Es müssen mindestens drei Kleidungsstücke sein, die weiblich sind.“
„Aber die habe ich doch an…“ „Nein, deine Jeans mit dem Reißverschluss vorne, zählt nicht. Wenn die Polizei kommt, werden sie zählen und dich zwingen sie auszuziehen, weil sie zu einem Mann gehört.
Galater 3, 26-29
26 Ihr seid jetzt nämlich alle Kinder Gottes –
weil ihr durch den Glauben
mit Christus Jesus verbunden seid.
27 Denn ihr alle,
die ihr getauft worden seid
und dadurch zu Christus gehört,
habt Christus angezogen.
28 Es spielt keine Rolle mehr,
ob ihr Juden seid oder Griechen,
Sklaven oder freie Menschen,
Männer und Frauen.
Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus
seid ihr alle wie ein Mensch geworden.
29 Wenn ihr aber zu Christus gehört,
dann seid ihr Abrahams Nachkommen.
Damit bekommt ihr auch das Erbe,
das Gott ihm versprochen hat.
Galater und die Eindeutigkeit
„Das junge Mädchen zieht sich immer mehr zurück. Sie weiß nicht, was los ist. Sie hat das Gefühl nicht im richtigen Körper zu sein. Die Medizin bietet Hilfen an, die zu mehr Eindeutigkeit verhelfen sollen. Damit eine oder einer wieder dazu gehört, so oder so ‚normal‘. Das Mädchen und die Eltern suchen Rat.“
Im Taufbekenntnis aus dem Galaterbrief, das wir gerade gehört haben. Da wird vom Leib Christi gesprochen. Und im Leib Christi geht es gerade nicht in erster Linie um Eindeutigkeit, sondern um Zugehörigkeit und Beziehung, die wir nicht selbst schaffen, sondern in die wir hineingenommen werden. Die Taufe eröffnet einen Raum, in dem Menschen mit ihrer Gebrochenheit, Unsicherheit und Fragilität leben können. Es entsteht eine Gemeinschaft der Freiheit, die Spannungen aushält und unterschiedliche Wege zulässt; die niemanden unter Druck setzt: entscheide dich, du musst so oder so sein! Die stattdessen wahrnimmt, annimmt, dableibt, vertraut und zutraut, in Beziehung tritt.
Sind wir eine Kirche, in der die Gemeinschaft mit Christus so stark ist, dass unterschiedliche Orientierungen zugelassen und all die fließenden Übergänge, die Brüche und Unklarheiten ausgehalten werden, die Menschen auszeichnen? Eine Kirche, in der Beziehungen der Freiheit und des Vertrauens herrschen, so dass Identität wachsen kann, auch sexuelle Identität, ohne Zwang.
Wir
alle wissen, dass es leider in den vergangenen Jahrhunderten anders
gewesen ist. Die gedanklichen Grundlagen zur Verfolgung dessen, was
anders ist, sei es die sexuelle Orientierung, die Identiät im
Geschlecht, all dieses Anderssein, wurde verfolgt und versucht zu
unterdrücken. Wir als Kirche haben uns da schuldig gemacht. Wir
haben unsere eigenen Grundlagen nicht ernst genommen, haben die Bibel
nicht gelesen, haben unseren Auftrag nicht ernst genommen.
Der
da heißt:
Kirche diskriminiert nicht, sagt nicht, welche Form von Sexualität per se gut oder schlecht ist. Sie ist da, hört zu, macht Mut, stärkt. Sie eröffnet einen Raum des Vertrauens, in den alle Betroffenen eingeladen sind, gerade auch Angehörige, Geschwister, Freundinnen und Freunde. Das Ziel ist nicht Eindeutigkeit, sondern dass Beziehungen wachsen, eine Familie gestärkt wird, am Ende, dass ein Mensch sich aufrichtet; weil er sich von Christus getröstet weiß.
Die Razzia
Auf einmal flickert das Licht im Fenster. Alle in der Bar erstarren: Die Gespräche verstummen. Alle hören auf zu tanzen, denn sie wissen was los ist. Die Polizei steht vor der Tür. Es wird eine Razzia geben. Die Tür geht auf und die Polizei stürmt die Bar. Es werden Papiere kontrolliert, Menschen werden gezwungen sich auf der Toilette auszuziehen und zu beweisen, dass sie die „richtige Kleidung“ zu ihrem „richtigen Geschlecht“ tragen. Leider so wie immer, doch irgendwas ist anders. Als eine Dragqueen brutal abgeführt wird, ruft sie den umstehenden schwulen Männern zu: Helft mir! Helft mir! Wehrt euch! Und sie helfen ihr und wehren sich. Die ersten Steine fliegen, es kommt zu Verfolgungsjagden, der Aufstand dauert die ganze Nacht.
Mut
Es braucht Mut zu sich zu stehen.
Wie oft habe ich selbst nicht zu mir gestanden.
Dabei habe ich es doch einfach: Weißer Cis-Mann aus liberalem Elternhaus, na gut vom Land, aber sonst…
Wie oft habe ich überlegt, erzähle ich es, dass ich schwul bin. Mit 15 als ich es in Worte fassen konnte, mit 17 als es im Schulseminar Thema war, dann endlich mit 19 als ich in der Uni-Stadt ankam. Jedes Mal hatte ich den Mut nicht, den Schrank zu öffnen und zu meinen Farben, zu meinem bunten Gewebe zu stehen.
Als es dann mit 26 Jahren endlich soweit war, da habe ich mich dann erstmal in meiner blauen Einfalt getraut, ganz langsam und schrittweise. Mich noch mehr an all das „Normale“ haltend, nur nicht auffallen und „Ich bin schwul“ lieber per Brief als im direkten Gespräch sagen.
Ich musste den Mut lernen, musste lernen zu mir und zu meiner vielfältig an Farben zu stehen. Zum Schwarz des Talars, zum Blau der Alltagsjeans, zum Pink der Freudenshirts, zum Gold des Feierschuhe, zum Grau des Einsamkeitshoodie, zum Petrol des Pfadfinderhemdes und zum Glitzer meiner Sexualität.
Aufstand in Christi Namen?
Stonewall was a riot. Die Aufstände rund um das Stonewall Inn in der Christopher Street in New York waren kein friedlicher Protest, das gehört auch zur Geschichte. Unsere freundlich und fröhlichen Paraden sind etwas anderes als die Proteste in den Tagen vor 50 Jahren. Da entzündete sich ein Funke, der zur Befreiung und zum Widerstand gegen all die Repressionen und Unterdrückungen führte, die viel zu lange schon herrschten. Und diese Gewalt ist ganz sicher nicht im Sinne dessen, auf den wir uns berufen, wenn wir Gottesdienst feiern. Doch gleichzeitig ist das , was daraus entstanden ist, sicher im Sinne Gottes, der uns so geschaffen hat, wie wir sind, im Sinne Jesu, dessen Liebe keine Grenzen kennt und im Sinne der Geistkraft, die uns das Feuer bringt und uns so miteinander verbindet.
Das Taufkleid
Strahlend weiß leuchtet es. Ein großes Gewusel drumherum. Die Mama, die Oma, die Patinnen und Paten, der Papa schiebt stolz den Kinderwagen. Und mitten drin die Ruhe selbst: Das Kind. Das bunte Spielzeug in der Hand, den Schnuller im Mund.
Und dann dieses altertümliche weiße Kleid mit ganz viel Spitze. Irgendwie wirkt es wie aus der Zeit gefallen. Aber Oma hat es sich doch so gewünscht. Und nun trägt sie es ganz stolz vor sich her in die Kirche. Das nur kein Fleck drauf kommt vor der Taufe.
Denn ihr alle,
die ihr getauft worden seid
und dadurch zu Christus gehört,
habt Christus angezogen.
Das Kind ist getauft, die Familie verlässt froh gestimmt die Kirche. Alle sind auf dem Weg zum Essen. Das Kind freut sich am meisten auf die roten Kirschen, die es vom Kinderwagen aus auf dem Buffet sehen konnte. Kaum aus dem Kinderwagen gehoben, läuft es los. Es reckt sich nach oben, versucht die Schale mit den Fingern zu erreichen und eine Kirsche heraus zu bekommen. Doch so wirklich erfolgreich ist es nicht. Die Schale kommt ins Wackeln, das Kind auch und auf einmal hört man das ein Scheppern, die Schale liegt auf dem Boden, das Kind schaut kurz erschreckt, dann setzt es sich neben die Schale in die Kirshcen und beginnt sich die anderen Kirschen in den Mund zu stecken. „Oh nein, das schöne Kleid!“ rufen die Eltern. Doch die Oma beginnt zu lachen: „Das Fest und das Leben können mit dem ersten Farbklecks beginnen.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus
Amen
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